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Viele tausend Jahre lang wussten die Bauern, dass sie ohne das Leben im Erdboden verloren waren. Auch wenn sie von dem Bodenleben selbst im Einzelnen noch gar nichts wussten, so doch von der natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens. Sie waren angewiesen darauf, dass die Wälder und Wiesen, die sie nutzten, und die Äcker, die sie umgebrochen hatten und auf denen sie säten und ernteten, mehr Leben hervorbrachten, als die Böden brauchten, um sich selbst am Leben zu erhalten. Die Menschen und ihre Tiere lebten von diesem Überfluss. Sie lernten aber auch, dass der endlich ist, dass der Erdboden bald nichts mehr abgeben konnte, wenn sie ihm nichts zurückgaben von den Nährstoffen, die sie ihm nahmen. Sie wussten um ihre Abhängigkeit von der Fruchtbarkeit der Erde, die sie bebauten.
In den entwickelten Ländern der Erde, die zuletzt auch ihre Landwirtschaft industrialisiert haben, ist die eigenständige Fruchtbarkeit der Böden heute kein Problem mehr. Zumindest scheint es so. Denn ein großer Teil der Böden wird inzwischen so bewirtschaftet, als gäbe es gar kein Leben im Boden, als sei die Erde nur das Substrat, in dem die Pflanzen sich festhalten.
Tatsächlich haben wir längst bewiesen, dass es auch ohne lebendige Erde geht, ja überhaupt ohne Erde. Wir können Pflanzen auch in Kügelchen aus Ton oder auf Steinwolle wurzeln lassen und künstlich bewässern und ernähren. Letztlich geht es sogar ohne Wurzeln: mit pflanzlichen Einzellern in Bioreaktoren. Nur ist das mit hohem technischem Aufwand bei der Gewinnung der Nährstoffe und der Produktion der Biomasse verbunden. Und mehr als das ist das Ergebnis dann auch nicht: Biomasse. Immerhin gut genug, um damit Biogasanlagen oder Biospritraffinerien zu füttern.
Für unsere Nahrungsmittel sind wir aber noch immer auf die fruchtbaren Böden dieser Erde angewiesen. Unser derzeitiger Umgang damit ist aber ein Vernichtungsfeldzug. Wir betonieren, asphaltieren ihn zu, baggern ihn weg, planieren und versiegeln. Täglich gehen auch in Deutschland noch immer sechzig Hektar Land verloren. Um es anschaulich zu machen, der gängige Vergleich: Das sind knapp 150 Fußballfelder. Eigentlich wollte die Bundesregierung den Flächenfraß bis 2020 auf täglich dreißig Hektar begrenzen. Es bleiben aber mehr, denn diese selbstgesetzte Vorgabe ist eines der vielen nicht erreichten Umweltziele. Und selbst wenn das ursprüngliche Ziel erreicht würde, wären das immer noch täglich dreißig Hektar, oder 74 Fußballfelder, zu viel. Denn, wenn uns schon die Welt groß genug erscheint, um sie immer weiter auszubeuten – das kleine Deutschland dürfte für jeden so überschaubar sein, dass leicht zu erkennen ist, dass die Ressource Land endlich ist und wir es uns nicht leisten können, jeden Tag dreißig Hektar zu verlieren. Aber selbst da, wo kein Quadratmeter Fläche überbaut wird, geht Boden verloren. Denn die sogenannte moderne Landwirtschaft ist in ihrer industrialisierten Form an dem Vernichtungsfeldzug gegen das Leben beteiligt; auch sie sorgt dafür, die fragile Schicht fruchtbaren Bodens abzutöten und abzutragen, von der die Pflanzen und alle Landtiere leben – und also auch wir.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit sind wir derart flächendeckend weltweit gegen unsere eigenen Lebensgrundlagen – im Wortsinn – „zu Felde“ gezogen. Tatsächlich ziehen wir uns selbst den Boden unter den Füßen weg. Auch das wieder wörtlich gemeint, denn unsere Form der Bodenbearbeitung tötet nicht nur das Leben im Boden, sondern sorgt auch für massive Erosion durch Wind und Wasser.
„Die Erde unter unseren Füßen ist eines der wertvollsten Vermögen der Menschheit“, betonte die Geschäftsführerin des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), Inger Andersen, in ihrer Videobotschaft bei der Vorstellung des jüngsten Sonderberichts[1] des Weltklimarats zum Schutz von Böden und Wäldern: „Wir müssen die Nutzung unserer Landflächen an den Klimawandel anpassen, damit wir die Nahrungsmittelproduktion für die heutige und für zukünftige Generationen sicherstellen können.“
Was passiert, wenn dies nicht geschieht, kann man sich in der Sahelzone anschauen, wo der Raubbau an den Böden zu dauerhafter Verwüstung geführt hat. Man muss dafür aber nicht einmal nach Afrika fahren. Im Süden Spaniens lassen sich malerisch verfallene Fincas besichtigen, ehemals profitable Bauernhöfe, die jahrhundertelang die Menschen ernährten. Jetzt stehen sie in einer von tiefen Erosionsgräben durchzogenen, stetig wachsenden Wüste. Und auch die von Touristen gern besuchten Karstlandschaften des Balkans und Süditaliens sind Zeugen vergangenen Raubbaus. Der Wald, der dort einstmals wuchs, ist nie wiedergekommen. Wenn aber die flache Schicht fruchtbaren Bodens erst einmal fort ist, gelingt es uns kaum mehr, das Land wieder urbar zu machen. Die natürlichen Prozesse der Bodenbildung laufen in zeitlichen Dimensionen ab, mit denen wir Menschen nichts zu tun haben. Die Spanne eines einzigen Menschenlebens allerdings reicht uns, um die Fruchtbarkeit ganzer Landstriche auf Dauer zu vernichten. Denn die oberste Schicht der Erde, auf der und von der wir leben, hat zwar Millionen Jahre des Aufbaus gebraucht, ist aber doch nur eine Winzigkeit, die schnell wieder verloren sein kann.
Vergleicht man den Aufbau unseres Planeten mit dem eines Apfels – eine früher in der Schule gern gezeigte Vorstellung –, dann ist das Fleisch des Apfels der flüssige Kern der Erde, und die Apfelschale stellt die feste steinerne Erdkruste dar. Abgesehen davon, dass auch dieser Vergleich mal wieder hinkt, weil die Apfelschale im Verhältnis viel zu dick ist – wäre in diesem Bild der Staub auf der Apfelschale jene äußerste Erdschicht, die alles Landleben auf dem Erdball möglich macht. Wobei dieses „Häutchen“ auf dem Erdball „eine im Vergleich gar nicht darstellbar dünne Staubschicht“ wäre, wie schon 1922 Raoul Heinrich Francé feststellte, der Vater der modernen Bodenforschung.[2] Vielleicht hilft uns der hinkende Vergleich dennoch, endlich wieder zu bemerken, dass der feste Boden, auf dem wir zu stehen glauben, nichts ist als ein Stäubchen – und dass unser Leben und das Überleben der ganzen Menschheit mit diesem Stäubchen hinweggefegt werden kann.
In Tausenden von Jahren aufgebaut, in wenigen Jahren vernichtet
Was mit hinweggefegt wird, wenn der Boden im Sturmwind davonfliegt, was mit untergeht, wenn der Boden im Sturzregen abgeschwemmt wird, was unter Beton und Asphalt stirbt, das ist der vielfältigste Lebensraum der Erde. Nirgendwo ist das Leben so dicht gepackt wie in der obersten fruchtbaren Erdschicht. In einem einzigen Kubikmeter gesunden Oberbodens leben mehr Organismen, als es Menschen auf der Erde gibt. Wenn auf einer gut eingewachsenen, intakten Weide zwanzig Rinder grasen, die zehn bis fünfzehn Tonnen Lebendgewicht auf die Grasnarbe bringen, dann sorgen in und unter der grünen Pflanzendecke gut 250 Tonnen Bodenorganismen dafür, dass die Pflanzen und damit auch die Rinder da oben satt werden. All diese Asseln, Fadenwürmer, Springschwänze, Doppel- und Hundertfüßer, Algen, Pilze, Milben, Regenwürmer und Mikroorganismen arbeiten unermüdlich daran, in und auf diesem Boden Leben zu ermöglichen. Allerdings ist diese stark belebte und fruchtbare Schicht des Bodens an vielen Stellen weniger als einen halben Meter dick und entsprechend schnell zerstört. An anderen Stellen existiert sie fast gar nicht oder nur in Nischen.
In immer mehr Gebieten der Erde wird den kleinen und kleinsten Helferlein zudem das Überleben im Boden immer schwerer gemacht, weil wir Menschen wirtschaften, als wüssten wir gar nichts von ihnen. Wir ignorieren sie und ihre Funktion, ihre „Dienstleistungen“[3] für uns. Dabei umfassen diese weit mehr als nur die Funktion, die fruchtbare Erde bereitzustellen, die wir seit dem Bioland-Vordenker Hans Peter Rusch „Mutterboden“[4] nennen. Sie speichert Wasser, verhindert Überflutungen, sie filtert es zu sauberem Grundwasser. Sie versorgt die Pflanzen. Sie klimatisiert das Land.
Wir könnten die Bodenorganismen sogar nutzen, um unseren größten Umweltfrevel zu reparieren: den Klimawandel. Bei ihrer vielfältigen Zersetzungsarbeit, der Umwandlung von Streu und Dung, von totem pflanzlichen und tierischen Material in organische Nährstoffe, entsteht Humus: organisches Material im Boden. Die Basis der aktuellen und zukünftigen Nährstoffe der Pflanzen und des Wasserreservoirs im Oberboden. Bei der Humusbildung lagern die Bodentiere und -pflanzen, die Pilze und Mikroorganismen auch Kohlenstoff im Boden ein; bei ungestört wachsenden Böden wie unter Wäldern und Weiden wird der Kohlenstoff dauerhaft im Boden gespeichert. Auch in intaktem Ackerboden wird Humus gebildet, wenn er nicht ständig gepflügt wird und nicht wochen- und monatelang ohne Pflanzendecke vor sich hin dämmert. Würden wir nun auf allen landwirtschaftlich genutzten Böden dieser Erde in jedem Jahr auch nur vier Promille mehr Humus wachsen lassen, dann wäre der gesamte jährliche Kohlendioxid-Ausstoß der Menschheit im Boden gespeichert. Bei der Klimakonferenz in Paris,[5] bei der sich die Staaten endlich auf ein Klimaabkommen einigen konnten, hat Gastgeber Frankreich genau das vorgeschlagen: eine weltweite 4-Promille-Initiative.
Das ist einer der vielen guten Gründe für die unbedingt nötige Humuswende: Die Landwirtschaft könnte vom Klimazerstörer zum Klimaretter werden. Welch grandioser Imagewandel!
Der andere wichtige Antrieb für den radikalen Wandel muss aber das schlichte Überleben der Menschen sein – oder sagen wir ruhig: der Menschheit. Denn es geht ums Ganze, es geht darum, uns die wenigen fruchtbaren Böden dieser Erde so zu erhalten, dass wir von ihnen leben können. Und wenn wir es ganz toll treiben wollen, dann könnten wir sogar Leben zurückbringen in manche Böden und etwas von dem reparieren, was wir schon zerstört haben oder gerade noch zerstören. Auch das ist möglich. Wenn denn endlich die Humuswende kommt.
Wie nämlich steht es um den Humus in unseren landwirtschaftlich genutzten Böden? Das hat das Thünen-Institut, eine selbstständige Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundeslandwirtschaftsministeriums, in einer aufwendigen Untersuchungsreihe zum ersten Mal für Deutschland erhoben. Von 2012 bis 2018 wurden über 120 000 Bodenproben in über 3000 landwirtschaftlichen Betrieben in allen Regionen des Landes gezogen und untersucht. Das Ergebnis: Die landwirtschaftlich genutzten Böden sind – von ihrer Kapazität her – besser als der deutsche Wald. Sie speichern im Mittel 128 Tonnen organischen Kohlenstoff pro Hektar – wissenschaftlich abgekürzt als Corg – im oberen Meter des Bodens. Im Waldboden sind das im Durchschnitt nur einhundert Tonnen. Wobei man dazu wissen muss, dass der Wald tendenziell nur auf den ärmsten Böden stehen gelassen wurde, also da, wo sich Landwirtschaft nicht lohnt. Zudem wurden viele Moore entwässert, und auf den generell humusstarken Moorböden wird heute geackert. Was an sich schon ein Frevel ist, da diese Moore nicht mehr weiterwachsen und neuen Kohlenstoff einlagern können, da durch ihre Trockenlegung außerdem viel Kohlenstoff frei geworden und in die Atmosphäre gelangt ist und da sie als Biotope für bedrohte Arten verloren sind. Außerdem wird auch Landwirtschaft betrieben auf sogenannten anmoorigen Böden. Das sind sehr feuchte Standorte mit sehr hohem Grundwasserstand, in denen die Landwirtschaft viel Schaden durch die Verdichtung der Böden mit schweren Bearbeitungsmaschinen verursachen kann.
Wundermaterial Humus
Und was macht die Landwirtschaft tendenziell mit den Böden? Oder einfach gefragt: Nimmt der Humusgehalt zu oder ab?
Um zu einer Einschätzung der Entwicklung des Kohlenstoffgehalts im Boden zu kommen, haben Wissenschaftler vom Thünen-Institut mit sechs verschiedenen Modellen gerechnet: einem deutschen, einem dänischen, einem schwedischen, einem finnischen, einem britischen und einem US-amerikanischen. Diese Modelle gehen alle davon aus, dass die Bewirtschaftung der Böden und ihre Versorgung mit organischer Düngung in den nächsten Jahren gleichbleiben. Und sie gehen davon aus, dass es für jeden Boden einen Gleichgewichtszustand gibt, eine je nach Art des Bodens unterschiedliche Sättigung mit Humus, also auch mit organischem Kohlenstoff.
Leider gehen die Modelle auch davon aus, dass das Klima bleibt, wie es ist. Obwohl wir wissen, dass das nicht so sein wird. Aber auch wenn das Klima tatsächlich den Bodenmodellen und nicht den Modellrechnungen der Klimaforscher und der eigenen Dynamik folgen würde, sieht es nicht gut aus für die Bauern in Deutschland. „Für Ackerböden zeigen die Modelle im Mittel einen Verlust an organischem Kohlenstoff in Höhe von 0,19 Tonnen pro Hektar für die nächsten zehn Jahre.“[6]
Das wäre ein jährlicher Verlust von fast 1,5 Promille Humus, gemessen am Mittelwert des Kohlenstoffgehalts aller landwirtschaftlich genutzten Böden in Deutschland, inklusive der Moorböden und anmoorigen Böden. Das hört sich wenig an, ist aber sehr viel, wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass die Franzosen bei der Klimakonferenz in Paris 2016 das 4-Promille-Ziel ausriefen. Die zugehörige internationale Deklaration ist von Deutschland als Erstunterzeichner mitgetragen worden. Auch die EU unterstützt die Deklaration. Die Daten des Thünen-Instituts[7] zeigen jedoch, dass unsere Landwirtschaft in die andere Richtung unterwegs ist.
Aber wieso eigentlich? Wie kommt es, dass uns eine derartige Menge an Humus verlorengeht, anstatt dass wir ihn aufbauen – wo die Bauern doch immer wussten, dass der Boden Zufuhr an organischem Material braucht? Und das lange bevor sie etwas vom vielfältigen Leben im Boden überhaupt wissen konnten. Irgendwie war doch immer klar, dass man etwas hinfahren muss auf den Acker, wenn man etwas weggenommen hatte – die Ernte. Und dass das, was man hinfährt, aus dem Bereich des Lebendigen stammen muss: Kompost, Stallmist, Gülle. Und dass man dafür sorgt, dass „Mutter Boden“ (Hans Peter Rusch) bedeckt ist und nicht bloß daliegt. Ist dieses alte Wissen in wenigen Generationen von Kunstdünger und Agrochemie tatsächlich komplett verschüttet worden?
Die Industrialisierung der Landwirtschaft
Die Hauptursache des ständigen Humusverlustes liegt in der Industrialisierung der Landwirtschaft, insbesondere in deren Trend zu immer größeren Feldern und der dadurch ausgelösten Erosion. Je länger die Hänge sind, die so bewirtschaftet werden, desto besser kann das Wasser fließen. Und je länger es dauert, bis der Boden von den eingesäten oder gesetzten Pflanzen durchwurzelt und gehalten wird, desto größer die Gefahr. Hackfrüchte wie Rüben, Kartoffeln und Gemüse, oder auch Mais, sollten an erosionsgefährdeten Hängen also eher gar nicht angebaut werden, denn sie bedecken und durchwurzeln in der konventionellen Bewirtschaftung auch in voller Größe nur rund ein Drittel der Oberfläche des Bodens. Was nicht ganz so schlimm wäre, wenn man quer zum Hang arbeiten würde.
Doch was früher selbstverständlich war, muss heute vorgeschrieben werden. Das Bundesland Hessen verpflichtet daher seine Landwirte, beim Ausbringen erosionsanfälliger Kulturen in gefährdeten Lagen quer zum Hanggefälle zu arbeiten und die Sohlen der Kartoffeldämme mit Winterweizen einzusäen und so zu durchwurzeln und zu befestigen. Wie viele der ehemaligen Maisäcker sind heute im Winter nur von den alten Stoppeln bestanden, die gar nichts mehr aufhalten können, weder die Erosion durch Wasser noch durch Wind? Wie viele Äcker liegen überhaupt im Winter ohne Schutz da – blanker Boden, bereit, fortgeschwemmt und weggeweht zu werden?
Seit dem Jahr 2000 wird in Niedersachsen die Bodenerosion auf gefährdeten Ackerflächen gezielt beobachtet. Nach gut zehn Jahren wurde eine erste Bilanz gezogen, und die fiel erschreckend aus. Der durchschnittliche Bodenverlust auf den beobachteten Flächen reichte von 1,4 Tonnen pro Hektar bis 3,2 Tonnen. Bei einzelnen Starkregenereignissen waren bis zu fünfzig Tonnen Boden je Hektar Fläche verlorengegangen. Was das bedeutet, formuliert das Umweltbundesamt so: „50 Tonnen Boden entspräche einem Bodenverlust von circa fünf Millimeter pro Jahr und im Laufe eines Menschenlebens dem kompletten Verlust der fruchtbaren Ackerkrume.“[8] Das niedersächsische Umweltministerium bilanziert 2018, dass knapp zehn Prozent der Landesfläche von Wassererosion betroffen ist. Die geschätzten Bodenverluste durch Ausspülungen liegen auf den gefährdeten Flächen im Jahresmittel bei fünf Tonnen pro Hektar. Winderosion bedroht sogar drei Viertel der Landesfläche, vor allem im Norden, wo es mehr Standorte mit leichten, sandigen Böden gibt.
Es kann also sein, dass der Vater, der dort jetzt ackert, seiner Tochter oder seinem Sohn nichts mehr hinterlassen kann, wenn die den Hof übernehmen wollen. Weil da schlicht nichts mehr ist, was man bewirtschaften könnte.
Schäden für die »Ewigkeit« – aber keine Ahndung
Schon Charles Darwin hat einst beobachtet und gemessen, wie die Regenwürmer im Verbund mit all den anderen Milliarden von Bodenorganismen den Boden aufwachsen ließen um den großen Stein herum, den er im Garten platziert hatte. Das waren rund zwei Millimeter im Jahr. Wenn die oberste fruchtbare Bodenschicht fortgeschwemmt oder fortgeflogen ist, die gerade in erosionsgefährdeten Lagen oft nur dreißig Zentimeter stark ist, wie lange brauchte es dann, bis sie wiederaufgebaut wäre? Im Idealfall wohl 150 Jahre. Vorausgesetzt, da wäre überhaupt noch Bodenleben oder man könnte es dorthin zurückbringen und dann auch noch ein passendes Darwinsches Gartenklima für das unterirdische Leben schaffen.
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, stellt heute bundesweite Landkarten im Maßstab 1:1 000 000 mit erosionsgefährdeten Standorten zur Verfügung. Beim niedersächsischen Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie sind die Karten auf 12,5 Meter genau. Dem 2018 neu aufgelegten Hessischen Erosionsatlas liegt ein digitales Geländemodell mit einer Auflösung von fünf Metern zugrunde. Im Kartenmaßstab also 1:5000. In der frei zugänglichen Internetanwendung BodenViewer Hessen kann jeder Landwirt seine Ackerflächen finden und ihre Gefährdung erkennen. Für die Einschätzung der Erosionsgefahr für die Böden durch Wind und Wasser gibt es Normen nach DIN, also Deutsche Industrienormen, und nach ISO, also Normen der Internationalen Organisation für Normung. Es ist alles geregelt, kartiert und offengelegt.
Der Landwirt, der seinen Kindern und uns allen einen durch Erosion zerstörten Acker hinterlässt, auf dem nichts für uns Verwertbares mehr wächst, wird also schlecht sagen können, er hätte nichts von der Gefahr und den Folgen seines Handelns gewusst. Er hätte es sogar sehr genau wissen können, auf 12,5 oder fünf Meter genau.
In vielen Fällen muss die Information aber auch gar nicht so genau sein, wie sie uns vorliegt. Es würde reichen, sich an das „Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen“ zu halten. Dieses Bundesbodenschutzgesetz zeigt in seinem vierten Teil, in dem es um die landwirtschaftliche Bodennutzung geht, sehr klar auf, was unter „guter fachlicher Praxis in der Landwirtschaft“ zu verstehen ist. Durch deren Beachtung nämlich kommt der Landwirt seiner Vorsorgepflicht zum Schutz des Bodens[9] nach: „Grundsätze der guten fachlichen Praxis der landwirtschaftlichen Bodennutzung sind die nachhaltige Sicherung der Bodenfruchtbarkeit und Leistungsfähigkeit des Bodens als natürlicher Ressource.“[10]
So steht es im Gesetz. Und dann folgt eine Liste von sieben Punkten, zu denen auch gehört, dass „die Bodenbearbeitung unter Berücksichtigung der Witterung grundsätzlich standortangepasst zu erfolgen hat“, dass außerdem „Bodenverdichtungen, insbesondere durch Berücksichtigung der Bodenart, Bodenfeuchtigkeit und des von den zur landwirtschaftlichen Bodennutzung eingesetzten Geräten verursachten Bodendrucks, so weit wie möglich vermieden werden“ und Erosionen, im Gesetz „Bodenabträge“ genannt, „durch eine standortangepasste Nutzung, insbesondere durch Berücksichtigung der Hangneigung, der Wasser- und Windverhältnisse sowie der Bodenbedeckung, möglichst vermieden werden“.
Entsprechend steht ja auch im Bodenschutzgesetz, dass Bodenverdichtungen zu vermeiden seien. Nur, was passiert eigentlich, wenn die Rübenerntemaschine, der Köpfrodebunker, genau dann kommt, wenn er unter Berücksichtigung der Witterung grundsätzlich nicht standortangepasst eingesetzt werden kann, also praktisch gesetzeswidrig erntet? Was der Landwirt, der die Rüben gesät und gepflegt hat, übrigens meist nicht verhindern kann, weil der Einsatzplan von Maschine und Personal ganz woanders gemacht wird. Er könnte nur ganz auf deren Einsatz und damit auf die Ernte verzichten.
Muss er aber nicht, es passiert nämlich gar nichts, wenn er gegen das Bodenschutzgesetz verstößt. Das wäre nur der Fall, wenn der fragliche Acker offiziell zu den gefährdeten Flächen gehörte. Dann greift das europaweit geltende Cross-Compliance-System zum „Erhalt der landwirtschaftlichen Flächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand“. So nennt das die Europäische Union, wenn sie den Landwirten, die Direktzahlungen von der EU bekommen, also quasi allen, vorschreibt, wie sie mit der Ressource Boden umzugehen haben. Ins Gesetzesdeutsch übersetzt heißt das dann „Agrarzahlungen-Verpflichtungenverordnung“.[11]
Die Subventionsgießkanne als Grundübel
Die Direktzahlung ist die Subventionsgießkanne der GAP, der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU – und ein weiteres Grundübel. Den größten Teil davon – nämlich 73 Prozent der Agrarmittel der Europäischen Union, etwa 40 Mrd. Euro jährlich, gibt es nämlich ohne Gegenleistung, einfach für die Fläche. Ursprünglich wollte man damit nach dem Zweiten Weltkrieg die landwirtschaftliche Produktion ankurbeln und gleichzeitig verhindern, dass die Landwirte gesellschaftlich abgehängt werden, entwickelte sich doch ihr Einkommen langsamer als in vielen anderen Bereichen.
Dabei hat es sich die EU aber allzu einfach gemacht. Sie gibt nämlich schlicht für jeden Hektar Geld, fast egal, was auf dem Land passiert. Je größer die bewirtschaftete Fläche, desto mehr Subvention kommt aus Brüssel. Wenn die Landwirte ihre Äcker gepachtet haben, dürfen sie das Geld über die Pacht allerdings gleich weiterreichen an die Eigentümer. Man muss also kein Bauer sein, um Agrarsubvention zu kassieren: Auch industrielle Großgrundbesitzer und Landspekulanten werden bedient. Und die Agrarindustriellen sowieso, die auf ihren tausende Hektar großen Betrieben Verwalter wirtschaften lassen.
Ein ökologischer Kassensturz tut not
Immerhin ist seit 2005 ein Teil der Direktzahlungen mit ein paar Umwelt- und Naturschutzverpflichtungen verbunden, die je nach Sichtweise als anspruchsvoll gelten oder als Papiertiger. Jedenfalls gilt seit damals: Wer Direktzahlungen haben möchte, muss sich an Auflagen halten und könnte auch kontrolliert werden. Bei groben Verstößen gegen die Verpflichtungen aus den Agrarzahlungen könnten dann Subventionskürzungen folgen. „Könnten“, der Konjunktiv ist hier Programm. Wirklich spürbare Auflagen gelten ohnehin nur für Äcker und Wiesen in Gewässernähe, für offiziell als erosionsgefährdet eingestufte Gebiete und für landwirtschaftliche Flächen, die nach EU-Verordnung „als im Umweltinteresse genutzte Flächen anzusehen sind“.[12] Wobei es mit der Kontrolle nicht weit her sein kann, sonst hätte der letzte heiße Sommer nicht sämtlichen Pressefotografen auf dem Land wunderbare Bilder von Mähdreschern liefern können, die kilometerlange Staubfahnen hinter sich herzogen. Das waren Bilder aus den nach den offiziellen Karten durch Winderosion stark gefährdeten Gebieten.
Immerhin steht aber etwas von Erosion in den Verordnungen. Man könnte die also umsetzen, was hieße: durchsetzen. Das Wort Bodenverdichtung kommt dagegen in der deutschen und in der Verordnung der EU gar nicht erst vor. Aber Paragraph 7 der deutschen Verordnung ist dann tatsächlich überschrieben mit „Erhaltung des Anteils der organischen Substanz im Boden“. Da wird doch nicht etwas über das Leben im Boden, den Mikrokosmos unter der Erde stehen, der ja diese organische Substanz in den Boden schafft? Nein, da steht ein einziger Satz: „Stoppelfelder dürfen nicht abgebrannt werden.“ Das war’s, Ende der Ansage. Ein Ende dieser Art der inspirationslosen Agrarsubventionen, die die Großen fördert und die Entstehung von agrarindustriellen Strukturen begünstigt, fordern die europäischen Umweltorganisationen seit Langem. Es hat auch schon Landwirtschaftsminister gegeben, die die Direktzahlungen auslaufen lassen wollten. 2013, als die Europäische Union das letzte Mal ihren siebenjährigen Agrarsubventionszyklus diskutierte, war das zum Beispiel Till Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern. Er sagte das medienwirksam auf der Grünen Woche in Berlin, der größten Agrarmesse der Welt, und hatte doch keinen Erfolg damit.
Jetzt gäbe es wieder mal eine Chance, denn wieder sind sieben Subventionsjahre nahezu vorüber. Bis 2021 muss die Europäische Union ihr Agrarsystem also turnusmäßig neu aufstellen. Und die Umweltschützer sind auch diesmal nicht alleine mit ihrer Kritik und ihren Forderungen. Sie werden unterstützt von der europäischen Agraropposition, einem Dachverband der bäuerlichen Betriebe, in Deutschland vertreten vom AbL, dem Arbeitskreis bäuerliche Landwirtschaft.
Selbst der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium[13] forderte „eine gemeinwohlorientierte gemeinsame Agrarpolitik der EU“. In seiner Stellungnahme kommt der Beirat zu einem vernichtenden Urteil über die Brüsseler Agrargießkanne: „Diese Zahlungen, die zum großen Teil ausdrücklich Einkommenszielen dienen sollen, sind verteilungspolitisch nicht zu rechtfertigen: Sie sind weder an der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Funktionen der Landwirtschaft noch an der betrieblichen oder der personellen Bedürftigkeit der Landwirte ausgerichtet und werden zudem über den Bodenmarkt zu einem großen Teil an Bodeneigentümer durchgereicht. Schließlich fehlen diese Mittel für eine gezielte Honorierung von Gemeinwohlleistungen. Dies gilt umso mehr, als die mit den Direktzahlungen verbundene Förderung von sogenannten ökologischen Vorrangflächen (Greening) sich unter Umweltgesichtspunkten als weitgehend wirkungslos erweist.“[14]
Das hier angesprochene Greening ist eine Subvention, die es obendrauf gibt auf die Basisprämie für die Fläche. Beim Greening ist es dann nicht mehr ganz so egal, was der Landwirt macht. Da müssen dann Blühstreifen angelegt oder Zwischenfrüchte angebaut werden. Der Begriff ist allerdings irreführend, handelt es sich doch um ökologisch weitgehend wirkungslose Zusatzausgaben, wie der Beirat bemerkt.
Der Bundeslandwirtschaftsministerin scheint ihr Beirat indes ziemlich schnuppe. Sie hat schon durchblicken lassen, dass sie an den Direktzahlungen festhalten will und auch die Kürzung bei 60 000 und die Kappung bei 100 000 Euro pro Betrieb, die die EU-Kommission vorgeschlagen hat, nicht mitmachen möchte. So haben schon ihre Vorgänger im Amt bei den vergangenen agrarpolitischen Beratungen agiert.
Dieses Mal allerdings – und das ist wirklich neu – mischt sich der oberste Aufseher über die Milliarden der Europäischen Union ein. Klaus-Heiner Lehne, der Präsident des Europäischen Rechnungshofes, bemängelte 2018, als die Verhandlungen zur Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik Fahrt aufnahmen, dass die EU nicht die Bauern, sondern die Agrarindustrie subventioniere, zu der inzwischen Aktiengesellschaften zählten, während die klassische bäuerliche Aufgabe der Landschaftspflege in vielen Regionen nur noch unzureichend erfüllt werde.[15] „Auf der anderen Seite werden die Umweltschäden, die durch die Agrarindustrie entstehen, zum Teil mit EU-Programmen wieder bekämpft“, sagte der oberste Rechnungsprüfer der EU und forderte: „Man muss die Agrarförderung viel stärker auf kleine und mittelständische Betriebe konzentrieren.“ Klare Ansage. Allein, die Agrarlobby gehört zu den mächtigsten Lobbyorganisationen in Brüssel, und sie vertritt nicht die Interessen der Landwirte, schon gar nicht die der kleinen und mittelständischen Bauern.
Ewigkeitskosten und die Jahrhundertkatastrophen
Insgesamt gibt es nur drei Industrien in Europa, denen zugestanden wurde, das Antlitz der Erde flächendeckend und dauerhaft zu verändern: Das sind, in der historischen Reihenfolge ihres Auftretens, die Bergbau- und Energieindustrie, die Autoindustrie und die zuletzt entstandene Agrarindustrie.
Die jüngste dieser Industrien ist erst nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt dazu geworden. Davor waren die Bauern weit von industriellen Strukturen entfernt. Die landwirtschaftliche Nutzung des Bodens hat zwangsläufig Landschaften verändert und geprägt, aber sie hat sie jahrhundertelang nicht nach industriellen Maßstäben der Bearbeitungseffizienz zugerichtet. Das geschieht erst seit Kurzem, mit allerdings drastischen Folgen.
So häufen sich in letzter Zeit die Jahre und Ereignisse mit dem Vornamen „Jahrhundert“: Jahrhunderthochwasser, Jahrhundertflut, Jahrhundertdürre, Jahrhundertsommer. Sie werden gerne mit diesem dramatischen Zusatz bestückt, obwohl wir alle längst bemerkt haben, dass die so bezeichneten Ereignisse keineswegs hundert Jahre auseinanderliegen.
Die sogenannten Naturkatastrophen neigen offenbar zu einer besonderen Art der Beschleunigung, die unser ohnehin beschleunigtes Leben noch überholt. Wobei es viele Anzeichen dafür gibt, dass unser immer schnelleres und immer grenzenloseres Leben und Wirtschaften die treibende Kraft hinter der Beschleunigung der katastrophalen Ereignisse ist. Zumindest wenn diese als Wetter daherkommen und die immer wiederkehrende Diskussion anregen, ob es sich dabei überhaupt noch um Wetter handelt oder eben doch schon um Klima. Kein Meteorologe mag diese Frage mit einem klaren Ja beantworten, denn Wetterextreme gab es schon immer. Aber hatten die Klimaforscher nicht prophezeit, dass die Veränderungen im weltweiten Klimasystem mit extremen Wetterereignissen einhergehen?
Das hatten sie vielfach getan, und das schon vor vielen Jahren, als noch Zeit gewesen wäre, das Eintreffen der Prophezeiungen zu verhindern.
Inzwischen wird jedes dieser Wetterereignisse von angeregten Diskussionen über die Resilienz unserer Städte begleitet, also über ihre Widerstandsfähigkeit, ihre Selbstbehauptungskraft. Wie muss gebaut oder umgebaut werden, um den nächsten zu erwartenden Jahrhundertsommer auch in der Stadt ertragen zu können? Was muss geschehen, um die vom Himmel stürzenden Fluten abzuleiten, die die Tendenz haben, die Regenmenge ganzer Monate an einem Tag abzuliefern? Die Gebäude ertüchtigen, die Kanalisation erweitern, Tiefgaragen und Unterführungen umgestalten, die Plätze umbauen, wieder mit Brunnen ausstatten, Schattenraum schaffen, das Stadtgrün mit dürreresistenten exotischen Bäumen und Sträuchern erweitern. Alles in der Diskussion, vieles schon in Planung und manches bereits im Bau oder umgesetzt.
Was aber geschieht auf dem Land? Wer schützt die Tiere und die Pflanzen, von denen und mit denen wir leben? Wer schützt unsere Nahrungsproduktion? Wer unsere Äcker, wenn sie im Dauerregen ersaufen – weil wir eben keine Überschwemmungslandwirtschaft betreiben wie die alten Ägypter. Die nährte der Nil, der jedes Jahr einmal über die Ufer trat und das umliegende Land mit seinem Sediment düngte und mit seinen Fluten bewässerte.
Unsere Felder und die auf ihnen gezogenen Pflanzen können dagegen mit zu viel nicht umgehen, egal woraus dieses Zuviel besteht. Wir leben in den gemäßigten Breiten, vom Wetter eigentlich verwöhnt, im Weizen- und Reisgürtel der Erde. Alles hier ist auf Mittelmaß ausgerichtet, das in diesem Fall nichts Mittelmäßiges meint, sondern nur das Fehlen der Extreme benennt. Die klimatisch gemäßigten Breiten ermöglichen hohe landwirtschaftliche Erträge und ernähren entsprechend viele Menschen. Wenn es aber so kommt, wie es in den letzten Jahren kam, dann kommt es dick – viel zu dick.
Was aber sollte folgen auf die Einsicht, wenn nicht die Aktion? Handeln ist heute das Gebot der Stunde. Das Wissen um die Unersetzlichkeit unserer belebten Böden, die im wahrsten Wortsinn unsere Lebensgrundlage sind, in Aktion münden lassen. Wie wäre es zum Beispiel, jenen fast schon sprichwörtlichen Hamburger Reeder, der in Pommern eine ehemalige LPG aufgekauft hat, oder auch andere der vielen „landwirtschaftsfernen Investoren“ mal darauf anzusprechen, welche Verantwortung sie mit dem Land übernommen haben? Womöglich möchte auch ein Milliardär mal etwas Gutes tun, über das geredet wird. Ein solches Beispiel könnte Schule machen.
Wie wäre es, die staatliche Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft (BVVG) dazu zu bringen, beim Verkauf des restlichen Landes aus DDR-Erbe, das sie als Nachfolgerin der Treuhand noch verwaltet, darauf zu achten, wie die Landwirte mit dem Boden umgehen, den sie erwerben wollen? Immerhin hat es da ja schon einmal funktioniert mit der Einflussnahme. Nach hörbarem Protest verkauft die BVVG heute keine großen, zusammenhängenden Tranchen Land mehr, die für Investoren interessant sein können.
Wie wäre es, den Ansatz der Biostiftung Schweiz auf ganz breite Füße zu stellen und einen Wettbewerb auszuschreiben für die „Humussammler“ unter den Bauern? Mit finanzieller Unterstützung austesten, was geht in Sachen Humusaufbau, um dabei Erfahrungen auf unterschiedlichen Böden und mit verschiedenen Methoden zu sammeln und gleichzeitig die Landwirte zu interessieren. Dabei kann man nicht nur Biobauern ansprechen, sondern auch die konventionell wirtschaftenden Landwirte. Das könnte auch ein Schritt in Richtung „Ökologisierung“ sein.
Wie wäre es, die Annäherungen zwischen den Umweltverbänden und den Landwirten auszubauen? So wie das der WWF mit seiner Kasseler Arbeitsgruppe zum Bodenschutz gemacht hat. In Baden-Württemberg hat der Naturschutzbund Nabu ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem der Mais, der als Futter für die Biogasanlagen gesät wird, durch eine Mischung aus Sonnenblumen, Malven und Klee ersetzt wird. Das bringt zwar weniger Energie für die Biogasanlage, muss aber nicht gespritzt und kaum gedüngt werden und ist Bienenweide auf dem Acker. Außerdem Erosionsschutz und Förderung des Bodenlebens. Die Umweltstiftung des Versandunternehmers Michael Otto hat den Nabu und den Bauernverband in ein Projekt namens „Franz“ geholt; ausgeschrieben heißt das: „Für Ressourcen, Agrarwirtschaft & Naturschutz mit Zukunft“. Das Projekt ist auf zehn Jahre angelegt und soll klären, was konventionell wirtschaftende Landwirte für den Artenschutz tun können, ohne dabei wirtschaftliche Einbußen hinnehmen zu müssen. Zehn Musterbetriebe in den unterschiedlichen Regionen Deutschlands sind dabei, unter anderem mit mehrjährigen Blühstreifen und Hecken. Ein konkreter Versuch der Ökologisierung der konventionellen Landwirtschaft. Mehr solcher Projekte würden die oft unnötige Konfrontation zwischen Landwirten und Naturschutz entschärfen und könnten den Umgang mit den Agrarsubventionen verändern. Der Naturschutz könnte die Agroforst-Initiativen unterstützen und dabei auch mitgestalten. Wenn sich das für die Landwirte lohnt, sehen die Äcker bald anders aus.
Handeln ist heute das Gebot der Stunde
Wie wäre es, wenn die Umweltverbände mit den Bauernverbänden zusammen und nicht nur mit der Agraropposition eine Reform des Bodenschutzgesetzes erarbeiten und vorlegen würden, ohne zu warten, bis es die Politik doch nicht tut? Und eine die ländliche Entwicklung stärkende und den Bodenschutz sichernde Renovierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gleich dazu. Das nämlich ist, gerade im Bereich Biogas, ein Paradebeispiel für die Unkenntnis von gesetzlicher Ursache und Wirkung auf dem Acker.
Wie wäre es, wenn die Wissenschaftler, die in der letzten Zeit immer mehr zum Bodenleben forschen, ihre Erkenntnisse wieder mehr mit den Landwirten teilen würden? Mehr praxisorientierte Forschung, die Wissen über die Zusammenhänge von Bodenleben und Pflanzenbau und die Auswirkungen der Erntemethoden und des Chemieeinsatzes zu den Bauern bringt und letztlich bis in die Ausbildung trägt. „Forschung heißt, Verantwortung für die Zukunft zu tragen“, sagte Altkanzler Helmut Schmidt und sprach von einer Bringschuld der Wissenschaft.[16]
Wie kein anderes Lebewesen auf dieser Erde sind wir Menschen in der Lage, uns Szenarien auszudenken und uns deren Umsetzung vorzustellen. Wir können alles Mögliche durchspielen, und in unseren Köpfen ist auch das Unmögliche möglich. Und manches scheinbar Unmögliche wird dann auch gemacht. Viele der ehemaligen Utopien sind heute gesellschaftliche Realität. Die Sklaverei ist abgeschafft, fast überall. Dabei war dies vor zweihundert Jahren für die meisten Menschen so unrealistisch wie noch 1988 der Mauerfall. „Seid realistisch, fordert das Unmögliche!“, war eine der witzig ernsthaften Parolen der Achtundsechziger. Heute ist diese Art von Realismus dringender denn je. Ignoranz ist dagegen die dümmste aller Todesursachen, schon gar für eine ganze Gattung.
Der Beitrag basiert auf dem neuen Buch des Autors, „Rettet den Boden! Warum wir um das Leben unter unseren Füßen kämpfen müssen“, das soeben im Westend Verlag erschienen ist.
[1] IPPC, Climate change and land, www.ipcc.ch, 8.8.2019.
[2] Raoul H. Francé, Das Leben im Boden: Untersuchungen zur Ökologie der bodenbewohnten Mikroorganismen, Kevelaer 2012, S. 9.
[3] Tatsächlich sprechen Ökologen von Ökosystem-Dienstleistungen, um zu benennen, welche Funktion bestimmte Biotope für uns Menschen haben – so als sei die Natur ein Gewerbeverband, der für uns arbeitet. Dahinter steckt die Idee, den Menschen ihre Abhängigkeit von der Vielfalt funktionierender natürlicher Lebensräume klarzumachen. Eine Idee, die bislang ohne Breitenwirkung blieb.
[4] Der Begriff geht zurück auf den Arzt und Mikrobiologen Hans Peter Rusch. Er bezeichnet in seinem Hauptwerk „Bodenfruchtbarkeit“ die Muttererde oder den Mutterboden als Organismus, in dem Humus kein Stoff sei, sondern „ein Ausdruck der tätigen Beziehung zwischen dem Mutterboden und allen anderen Organismen“.
[5] Die 21. UN-Klimakonferenz von 2015, COP21, verabschiedete das „Übereinkommen von Paris“ als Nachfolger des Kyoto-Protokolls von 1997.
[6] Anna Jacobs u.a., Landwirtschaftlich genutzte Böden in Deutschland. Ergebnisse der Bodenzustandserhebung, Braunschweig 2018, S. 2.
[7] Axel Don u.a., Die 4-Promille-Initiative „Böden für Ernährung und Klima“ – Wissenschaftliche Bewertung und Diskussion möglicher Beiträge in Deutschland, Braunschweig 2018.
[8] Umweltbundesamt, Erosion, www.umweltbundesamt.de, 29.07.2019.
[9] Paragraph 7 Bundes-Bodenschutzgesetz.
[10] Paragraph 17 Abs. 2 Bundes-Bodenschutzgesetz.
[11] Im Wortlaut: „Verordnung über die Einhaltung von Grundanforderungen und Standards im Rahmen unionsrechtlicher Vorschriften über Agrarzahlungen“, abgekürzt: AgrarzahlVerpflV.
[12] Art. 46 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates.
[13] Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz, Für eine gemeinwohlorientierte Gemeinsame Agrarpolitik der EU nach 2020: Grundsatzfragen und Empfehlungen. Stellungnahme, Berlin 2018.
[14] Ebd., S. 1.
[15] Christian Kerl, Rechnungshof fordert Kurskorrektur bei EU-Agrarförderung, in: „Berliner Morgenpost“, 24.9.2018.
[16] Zitat aus einer Rede Helmut Schmidts aus dem Jahr 2011 zum 100. Geburtstag der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, bei einem Festakt der Max-Planck-Gesellschaft.